Knapp 80 Prozent der Unternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie sind auf die gesetzlichen Anforderungen der Nachhaltigkeit vorbereitet. Das ergab eine Blitzumfrage unter den Teilnehmern der dreitägigen Nachhaltigkeitskonferenz des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie. Die Online-Konferenz fand zusammen mit den Mitgliedsverbänden des Gesamtverbandes textil+mode sowie in Kooperation mit Swiss Textiles, dem Bundesfachverband des deutschen Textil-, Schuh- und Lederwareneinzelhandels, BTE, sowie dem Mittelstand-Digital-Zentrum Smarte Kreisläufe statt. Mit über Anmeldungen aus Deutschland, der Schweiz und anderen europäischen Ländern stellte die Veranstaltungsreihe bereits zum zweiten Mal eine der europaweit größten Branchenevents im Nachhaltigkeitsbereich dar.
Zum Auftakt appellierte Vizepräsident Wilfried Holtgrave an die Politik, auch die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen: „Wir müssen alle Dimensionen der Nachhaltigkeit als Leitbild für ein nachhaltiges Wirtschaften einbeziehen. Wir brauchen die richtige Balance auch im Rahmen von Gesetzgebung und von politischen Diskussionen. Die ökonomische Dimension darf uns dabei nicht aus dem Blickfeld geraten. Denn nur mit einer leistungsfähigen, innovativen und wettbewerbsfähigen Industrie in Europa wird es uns auch gelingen, erfolgreich den Weg der Klimaneutralität zu gehen.“
Mit großer Sorge sieht die Branche, dass das geplante EU-Lieferkettengesetz noch weitreichender als das deutsche Gesetz sein soll. Unternehmensvertreter sprachen sich zwar für eine Harmonisierung innerhalb der EU aus. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, dass sich der Bürokratieaufwand noch einmal vergrößert. Schon heute seien die zahlreichen Berichtspflichten von vielen mittelständischen Unternehmen realistischerweise kaum noch umzusetzen. 68 Prozent der Unternehmen bewerten den zusätzlichen bürokratischen Aufwand des Lieferkettengesetzes als sehr hoch und hoch, so eine Blitzumfrage unter den Konferenzteilnehmern.
Dies diskutierte die Konferenz mit Anna Cavazzini von Bündnis90/ Die Grünen, der Vorsitzenden des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Europäischen Parlament. Die Abgeordnete aus Chemnitz berichtete über den aktuellen Stand der Verhandlungen über eine europäisches Lieferketten-Richtlinie, die Carsten Stender, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales federführend für Deutschland im Europäischen Rat begleitet. Für Stender steht fest, dass die europäischen Vorgaben über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus gehen werden. Deutschland habe nach einer EU-Einigung zwei Jahre Zeit, das deutsche Gesetz anzupassen.
Wie aufwändig und komplex die bereits heute geltende deutsche Lieferkettengesetzgebung ist, diskutierte die Konferenz mit Torsten Safarik, dem Präsidenten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das für die Kontrolle des Gesetzes zuständig ist. Laut Safarik versteht sich seine Behörde als Partner aller Unternehmen, die ihre Lieferketten fair und nachhaltig gestalten wollen. Für das BAFA gehe es darum, das Lieferkettengesetz bürokratiearm und effizient umzusetzen. Daher sei man im ständigen Austausch und biete den Unternehmen ein umfangreiches Informationsangebot zu praktischen Umsetzungsfragen an.
Nach der politischen Diskussion und Einblicken in das Lieferkettengesetz der Schweiz widmete sich die Konferenz am zweiten Tag der Nachhaltigkeitsberichterstattung und weiterer Anforderungen in den Bereichen Umwelt und Klimaschutz. Dabei gab es auch eine Übersicht über Nachhaltigkeitsprojekte der deutschen Textilforschung sowie konkrete Tipps für alle, die einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen wollen. 26 Prozent der Unternehmen erstellen laut Blitzumfrage bereits einen Nachhaltigkeitsbericht, bei 23 Prozent ist ein solcher Report in Planung. Hier gab Claudia Landgraf, Geschäftsführerin der t+m CSR Consulting GmbH, wichtige Tipps zum Workflow und den wichtigsten Fragen, die ein Nachhaltigkeitsbericht beantworten muss.
Auf großes Interesse stieß auch ein Expertenpanel zu den Anforderungen und Unterstützungsangeboten für Textil- und Modeunternehmen in den Bereichen Energie und Klima. Bereits 44 Prozent der Unternehmen setzen nach einer Blitzumfrage bereits heute Klimaschutzvorhaben in ihren Betrieben um. Im dritten Konferenzteil ging es neben der EU-Abfallrahmenrichtlinie und der erweiterte Herstellerverantwortung für Alttextilien um die EU-Ökodesignverordnung und den digitalen Produktpass, allesamt gesetzliche Vorgaben, die auch die Kreislaufwirtschaft in der EU voranbringen sollen. Dabei traten viele Widersprüche zwischen politischen Absichten und der wirtschaftlichen Realität zu Tage, vor allem als es um weitere Verschärfungen im EU-Chemikalienrecht ging.
Wie Künstliche Intelligenz und Digitalisierung dabei helfen können, die komplexen Nachhaltigkeits-Anforderungen in den Unternehmen zu bewältigen, stand im Mittelpunkt der Präsentation des Mittelstand-Digital-Zentrums Smarte Kreisläufe, das seit März unter Federführung des Gesamtverbandes textil+mode mittelständische Unternehmen auch in Fragen der Circular Economy unterstützt. Diesem Zweck dient auch die Vernetzung von mittelständischer Textil- und Modeindustrie mit Start-Ups im textil+mode-Netzwerk Tex Started. Drei Unternehmen stellten zum Abschluss der Online-Konferenz ihre Geschäftsmodelle für eine nachhaltige Zukunft in der Textil- und Modeindustrie vor.
Anne Göbel, Leiterin CSR, zog nach drei Tagen mit rund einem Dutzend Expertenvorträgen eine positive Bilanz: "Nachhaltigkeit ist für viele Unternehmen ein zentraler Aspekt ihrer Strategie und Geschäftstätigkeit. Doch die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind nicht allein zu bewältigen, wie die Dekarbonisierung der Wirtschaft, nachhaltig ausgestaltete Lieferketten, Circular Economy und Digitalisierung, um nur einige Aspekte zu nennen. Gemeinsam werden wir den wertvollen Austausch zwischen Unternehmen, Politik und Wissenschaft zu Nachhaltigkeit und ihrer praktischen Umsetzung fortsetzen und relevante Entwicklungen weiter eng begleiten. Klar ist allerdings, dass wir rechtssichere politische Rahmenbedingungen statt komplexer, nicht aufeinander abgestimmter Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene benötigen. Wir brauchen mehr Pragmatismus und Vertrauen in die Marktteilnehmer."
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